Friedrich-Weinbrenner-
Gesellschaft e.V.

Nachlese zum gestrigen Karlsruher Stadtbauforum zum Umgang mit dem Weinbrenner-Erbe

28. Juli 2023

Bevor die Presse auf die gestrige Veranstaltung reagiert, womit sie sich aus den unten genannten und weiteren Gründen auch schwer tun könnte, hier eine sehr kurze Reaktion unsererseits.

Das Statement, das unser Vorsitzender Ulrich Maximilian Schumann vortrug und wir unten anschließen, stellte Weinbrenners epochale Schaffung von Lebensräumen für eine moderne Stadtgesellschaft der nur scheinbar modernen und demokratischen Art und Weise gegenüber, mit der dieses ererbte Potenzial in der Stadt Karlsruhe missachtet und, um es noch weiter zuzuspitzen, Stück für Stück zum Ausverkauf freigegeben wird. Von der Frage nach Fassaden und anderen Überbleibseln wurde der Blick ausdrücklich darauf gerichtet, dass eine wirklich moderne und zukunftsfähige Stadtgestaltung nur auf der Grundlage des Bestehenden und nur im Rahmen eines modernen und aufrichtigen Umgangs mit der Stadtgesellschaft entstehen kann.

Dass dies nicht auf Begeisterung seitens der übrigen Geladenen stoßen würde, die von diesem Ausverkauf profitieren, war abzusehen, und genauso, dass alle populistischen Register gezogen würden.

Baubürgermeister Daniel Fluhrer verkaufte dem Publikum sogar eine von ihm erlogene Pressemitteilung – eigentlich in einer Demokratie doch eine Todsünde, oder? – über die angeblich von ihm moderierten Gespräche im Vorfeld. Anstatt sich für die Lüge zu entschuldigen, schob er der Presse den schwarzen Peter zu, die diese hochoffizielle Mitteilung ernst genommen und die Lüge damit weiterverbreitet hatte, aber von ihm getäuscht wurde. Und es sei doch nicht wichtig, wer wann was gesagt habe. Für ihn scheinbar nicht, aber für uns, die wir es besser wussten, und vor allem für die von ihm betrogene Bevölkerung durchaus oder gar die Presse, die der Lüge unverschuldet aufgesessen ist.

Ungläubig saß man da, fühlte sich an den Verkäufer auf einer Kaffeefahrt erinnert oder – noch schlimmer an Donald Trump und die anderen Demagogen, denen wir sonst (glücklicherweise) nur in den Nachrichten begegnen.

Ist in Karlsruhe wirklich alles möglich, und alles prallt ungestraft ab?

Er wurde dabei assistiert, etwa vom Vorsitzenden der Landesarchitektenkammer, Markus Müller, der die Stadtverwaltung zu einer angeblich offenen Diskussion zum Wohle der Bürgerschaft und der Stadtentwicklung beglückwünschte, obwohl doch von Anfang an klar war, dass die hier vorgestellten Projekte längst schon eingetütet sind und die Diskussion also eine reine Scheindiskussion war.

Hierbei wurde dann auch noch ständig in die Trickkiste gegriffen und zum Beispiel absichtliche oder, wenn unabsichtlich, nicht minder peinliche Missverständnisse hervorgeholt. Architekt Volker Staab z. B. legte unserem Vorsitzenden mehrfach die Aussage in den Mund, er habe die Wahrheit gepachtet; außerdem wurde er als vermeintlicher einsamer Kritiker isoliert, obwohl die Kritik in unserem Offenen Brief an den Oberbürgermeister zahlreiche in- und auswärtige Fachleute unterschrieben und sich im Laufe der Diskussionen zahlreiche andere Stimmen zu Wort gemeldet haben.

Die kritischen Punkte wurden immer wieder durch polemische Spitzen und unzulässige, wenig zielführende Polarisierungen zerredet, als gäbe es beispielsweise keine Alternative zwischen diesem einzelnen, vorliegenden Entwurf und einer originalgetreuen Rekonstruktion, zwischen dem (eingeschränkten!) Wettbewerb und einer Beteiligung der gesamten Bürgerschaft, zwischen der Sichtweise von Historikern und der von Architekten, zwischen genau dieserart "modernen" (eigentlich: modernistischen) Bauten, die unabdingbar für eine moderne Gesellschaft wären, und den historischen Bauten, die dieser Gesellschaft demnach nicht mehr zumutbar seien.

Wenigstens die Fachleute, deren Geschäft das ist, hätten es besser wissen sollen. Aber von dort besteht offenbar kein Interesse an Differenzierung und Vermittlung, solange sie mit einfachen Unwahrheiten durchkommen und sich gegenseitig auf Veranstaltungen wie dieser abfeiern können.

Umso wichtiger war es, dass wir Präsenz gezeigt haben und den Wort-Weihrauch-Nebel durch objektives Fachwissen aufhellen konnten, das zu ganz anderen Resultaten kommt. Natürlich wurden diese Ergebnisse der Wissenschaft im Verlauf der “Diskussion” immer wieder als gleichwertig mit einer persönlichen Interpretation des privaten Halbwissens gleichgesetzt – und sogar bestritten! Letztlich aber kann nur das echte Wissen die einzige Basis für eine wirklich diskussionswürdige, produktive und nicht destruktive Auseinandersetzung mit unserem gemeinsamen Kulturerbe bilden.


"Schön, dass es doch noch zu einem Gespräch “Über den Umgang mit dem baukulturellen Erbe” kommt. Nachdem die Stadt Karlsruhe ja schon vergangenes Jahr in einer Pressemitteilung behauptet hatte, Gespräche zwischen den Umplanern des Markgräflichen Palais’ und der Weinbrenner-Gesellschaft moderiert zu haben, was aber frei erfunden war (und es war nicht der 1. April), ist es jetzt für das Palais längst zu spät, so wie für den Marktplatz und vieles Andere in Karlsruhe sowieso.

Aber natürlich sage ich gerne etwas dazu. Zumal es mir eine einfache Überleitung baut.

Und weil ich weder für politische noch für einzelne wirtschaftliche Interessen hier vorne stehe, sondern für die Wissenschaft, und nur der Wahrheit verpflichtet bin, musste ich mir auch keine Werbesprüche ausdenken, keine Märchen erfinden, keine Ausreden einfallen lassen, um die objektiv für alle zu beobachtende Missachtung und Zerstörung dieses Erbes (wie ja auch des staatlichen Denkmalschutzes) zu rechtfertigen oder schönzureden, sondern muss nur – wie gewünscht – einige Eckpunkte aus der epochalen Leistung aufzählen, die rund um Friedrich Weinbrenner hier einmal geschaffen worden ist; und die Konsequenz ergibt sich daraus wie von selbst.

Innerhalb weniger Jahre
– modernisiert und professionalisiert Friedrich Weinbrenner die gesamte Bauproduktion im Land Baden
– und ebenso die Bauverwaltung und Architekturausbildung,
– hat mit 120 internationalen Schülern weit mehr als alle anderen Architekten und also mehr Einfluss
– schreibt das erste deutsche Denkmalschutzgesetz
– sowie ein Baugesetz, das erstmals nicht von den Bedürfnissen der Mächtigen ausgeht, sondern vom wörtlich “Bedürfniß der Armen oder wenig bemittelten”
– sowie das einzige Architektur-Lehrbuch seiner Zeit.
– All das spiegelt sich in der unverwechselbaren Weinbrenner-Architektur wider,
– mit der er dem Land ein modernes Gesicht gegeben hat,
– die das Bestehende gezielt nicht alt aussehen lässt,
– sondern respektvoll weiterdenkt,
– die vom Bedürfnis ausgeht und dieses in zeitlose Eleganz verwandelt,
– als deren oberstes Ziel Weinbrenner zum ersten Mal in der Architekturgeschichte überhaupt den “Raum” benennt,
– weshalb für ihn jedes Gebäude immer zuerst ein Raum ist, in dem Menschen leben und handeln,
– und deshalb im Grunde nichts anderes als ein einfaches Haus (was man gerade dem Markgräflichen Palais angesehen hat)
– weshalb er keinen grundsätzlichen Unterschied sieht, ob es sich um Rathaus, Kirche, Wohnhaus, Waldhütte oder was auch immer handelt
– weshalb auch gar nicht die Fassade die Hauptrolle spielt, sondern der Raum dahinter und davor
– weshalb die öffentlichen Räume einen untrennbaren Zusammenhang damit bilden (was eben heute leider nicht mehr gilt und gerade am Marktplatz radikal zerstört wurde)
– womit er sich mitten unter die Kultur- und Geistesszene seiner Zeit befördert (inkl. Goethe, Schiller)
– und was er in ehrlicher Auseinandersetzung mit allen Beteiligten direkt und effizient aushandelt
– und womit er innerhalb weniger Jahre Orte wie eben Karlsruhe oder Baden-Baden und viele weitere in viel bewunderte und dauerhaft funktionierende Städte verwandelt
– dabei denkt er schon längst über Orte hinaus in die Kategorie der Kulturlandschaft ... alles lange seiner Zeit voraus

Ich könnte fortfahren, aber Sie haben schon verstanden, dass es beim Erbe Weinbrenners eben gerade nicht um einzelne Fassaden geht, sondern um die Verbindung von Planung mit den elementaren Grundlagen von Politik, Gesellschaft, Wissen, Kultur – um zeitlose, ja ausgesprochen moderne und wirklich fortschrittliche Errungenschaften, auf denen aufzubauen keine Frage von Geschichtsnostalgie oder Ähnlichem wäre, sondern von Klugheit, Effizienz, Weitsicht und, ja, Nachhaltigkeit.

Und wenn dies nicht passiert, sondern im Gegenteil dieses Erbe, dieses Kapital, nur noch als Steinbruch benutzt wird, aus dem man sich nach Belieben und Gelegenheit bedienen und damit verfahren darf, wenn man sich in der Position dazu befindet, kann der Grund dafür nur in der Unfähigkeit und/oder dem Unwillen liegen, eine Stadt auf eine auch nur im Entferntesten vergleichbar lebenswerte Weise zu gestalten, und dafür lieber die Wahrheit verbiegt, als sich auf eine echte Auseinandersetzung einzulassen (und das Wagnis einer echten demokratischen Planungskultur), wie es Weinbrenner getan hat.

Es ist tatsächlich auch eine Meisterleistung, beispielsweise den Marktplatz als Raum auf Baumarkt-Niveau vollkommen auszutauschen und noch immer zu behaupten, es sei Weinbrenners Marktplatz, oder im Stadtanzeiger, dass der Planungsausschuss wörtlich “für (die) historische Ansicht” des Markgräflichen Palais’ gestimmt habe, was absurd ist, oder auf der eigens vom Investor eingerichteten PR-Seite, das Projekt sei wörtlich “ganz im Sinne Weinbrenners” (was ebenso gelogen ist) – aber es sind keine Meisterleistungen in Planung und in Verantwortung oder auch nur Verständnis für die eigene Stadtkultur, sondern Meisterleistungen in Manipulation der Öffentlichkeit, Verdrehung der Wirklichkeit, Vergiftung der Sprache, wozu wir der Stadt leider nicht gratulieren und beifällig klatschen können. Das bitte ich zu entschuldigen. Aber es ist eben die Kehrseite der Wahrheit, dass sie wehtun kann. In diesem Sinne: Danke fürs Zuhören."