Karlsruher Erklärung zum Umgang mit dem gebauten Kulturerbe
Juli 2020
[Kurzfassung]
Städte verändern sich, so auch das gut 300 Jahre alte Karlsruhe. Doch häufen sich die Eingriffe, die direkt an die Substanz der ohnehin schon kriegszerstörten Stadt gehen und damit auch an ihre einzigartige Identität.
Kritik hieran äußert sich in Vereinen, Leserbriefen, Initiativen, Petitionen u.a.. Im Fokus stehen dabei der Abriss einzelner, selbst prominenter Bauten, wie der Drogerie Roth, oder die Umgestaltung von zentralen Punkten, wie der tiefgreifend veränderte Marktplatz und aktuell die geplante Überbauung des auf Weinbrenner zurückgehenden Gartens um den Bundesgerichtshof.
Aus Anlass des Europäischen Kulturerbejahres 2018, das in Karlsruhe keine offizielle Reaktion hervorrief, haben sich Vereine zusammengetan, um Argumente und Richtlinien für einen Schutz des Karlsruher Stadtbildes zu formulieren und in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie richten sich in erster Linie an die Behörden und fordern sie auf, die Verantwortung für das wertvolle gebaute Kulturerbe wahrzunehmen und die Initiative zu ergreifen, um weiteren schweren Schaden abzuwenden.
In ihrer gemeinsamen Erklärung fordern die Unterzeichnenden die Stadtverwaltung auf:
- die Erhaltung des gebauten Kulturerbes zum erklärten Ziel zu machen
- den Denkmalstatus historischer Objekte zu respektieren, durchzusetzen und zu verteidigen
- historische Ensembles, von denen nicht jedes einzelne Objekt eingetragenes Kulturdenkmal ist, durch eine Erhaltungssatzung zu schützen, wie sie jüngst für Durlach erstellt und für Daxlanden aktualisiert worden ist
- dafür zu sorgen, dass sich das eingespielte Verhältnis zwischen Bau- und Freiräumen nicht zu Lasten der Stadtbewohner verschiebt, zum Beispiel durch die Überbauung von Innenhöfen und Gärten
- die Bevölkerung über wichtige Veränderungen im Stadtbild transparent, rechtzeitig und neutral zu informieren und an den Entscheidungen zu beteiligen
- darauf zu achten, dass durch Bau- und Planungsprojekte die Sozialstruktur nicht aus dem Gleichgewicht gerät
- nicht nur solche Fachleute beizuziehen, die ein berufliches oder persönliches Interesse verfolgen, sondern auch diejenigen, die in der Lage sind, Wert und Bedeutung des historischen Bestandes darzustellen
- sich dafür einzusetzen, dass die Erleichterung von Abrissen und Umformungen in der aktuellen denkmalschutzrechtlichen Gesetzgebung und Praxis rückgängig gemacht und die Verpflichtung zur Erhaltung eines Baudenkmals wieder über eine individuelle Kosten-Nutzen-Rechnung gestellt wird
Erstunterzeichner:
- Badische Heimat e.V. (Regionalgruppe Karlsruhe)
- Bürgerverein Mühlburg 1898 e.V.
- Friedrich-Weinbrenner-Gesellschaft e.V.
- Freundeskreis Pfinzgaumuseum Historischer Verein Durlach e.V.
- Stadtbild Deutschland e.V. (Regionalverband Nordbaden)
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Beispiele aus letzter Zeit:
Statements
Robin Cordier, Stadtbild Deutschland e.V. – Regionalverband Nordbaden:
In Baden-Württemberg erleben wir seit Jahren, dass sich der Denkmalschutz mit dem Konservieren von Einzeldenkmälern begnügt und starr an Verordnungen festhält, anstatt unsere Stadtbilder, Dörfer und Straßenensembles vor Zerstörung und unpassender Neubebauung zu schützen. Das weckt großen Unmut in der Bevölkerung, den auch die Verwaltung zu spüren bekommt. Städte und Kommunen müssen deshalb umso mehr mit gutem Beispiel voran gehen und Kulturerbe schützen! Gestaltungs- und Erhaltungssatzungen können ein Mittel gegen den Gesichtsverlust der Straßen und Plätze sein.
Marthamaria Drützler-Heilgeist, Vorsitzende Badische Heimat e.V. – Regionalgruppe Karlsruhe:
Karlsruhe müsste für Baden eine Vorbildfunktion übernehmen, wie sorgfältig man mit dem Kulturerbe umgehen sollte. Leider tut es das nicht. Dabei ist diese mehr als andere Städte auf das besondere Kulturerbe angewiesen.
Mirko Felber, stellvertretender Vorsitzender Freundeskreis Pfinzgaumuseum – Historischer Verein Durlach e.V.:
Einst wurde das Stadtbild von Markgraf Karl Wilhelm vorgegeben. Karlsruhe rühmt sich dieser Stadtplanung wegen bis heute. Nun bitte ich die politischen Vertreter ihre Vision einer Stadt mit demselben Mut zu offenbaren, wie es der Stadtgründer tat. Dann aber entscheiden die Bürger. Ein anderes Vorgehen bedarf eines Rückschritts. Ich möchte die stadtprägende Substanz gewahrt sehen, jedoch nicht den Regierungsstil alter Zeiten.
Massimo Ferrini, Vorsitzender Bürgerverein Mühlburg 1898 e.V.:
Mühlburg hat als ehemals eigenständige Stadt eine bedeutende Geschichte und ist wichtiges B-Zentrum. Leider werden nach vielen Nachkriegssünden nun auch die letzten Zeitzeugen des 19. Jahrhunderts sowie der Kaiserzeit Stück für Stück abgerissen, um hochfliegende Investorenträume zu verwirklichen. Das muss ein Ende haben! Wir brauchen unsere Geschichte auch im Stadtbild von morgen.
Friedemann Kluge, Stadtbild Deutschland e.V. – Ortsverband Karlsruhe, Sprecher Grötzingen:
Grötzingen ist einer der ältesten Karlsruher Stadtteile und genießt als badisches Malerdorf überregionale Bekanntheit. Speziell das Kirchviertel ist nicht nur als Sitz der Malerkolonie von großer historischer Bedeutung. Es verfügt auch mit dem Schloss Augustenburg über einen der ganz wenigen Renaissancebauten auf Karlsruher Stadtgebiet. Leider wurde in den letzten Jahren durch Neubauten massiv in das gewachsene Ensemble aus Schloss, Kirche, Schule und historischer Brücke eingegriffen, sodass von der Idylle des Kirchviertels fast nichts mehr übrig ist. Jetzt muss dafür gesorgt werden, dass sich solche Fehler nicht wiederholen.
Günther Malisius, Vorsitzender a.D. Freundeskreis Pfinzgaumuseum – Historischer Verein Durlach e.V.:
Es geht eine Welle von massiven Eingriffen und sogar Abrissen durch Karlsruhe wie seit dem Krieg und dem “Wiederaufbau” in der “Wirtschaftswunderzeit” nicht mehr. Dass diese Opfer weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll sind, sollte man von damals gelernt haben.
Ullrich Müller, Arbeitskreis Stadtbild Durlach des Freundeskreis Pfinzgaumuseum – Historischer Verein Durlach e.V.:
Auch für öffentliche und private Eigentümer von Kulturdenkmalen gilt das GG Artikel 14: „Eigentum verpflichtet“. Die zu Stein gewordenen Zeugnisse aus vergangenen Kulturepochen sind im Original zu erhalten. So will es eigentlich der Denkmalschutz. Es wird immer wieder von privaten Investoren versucht, die heimelige Durlacher Altstadt stellenweise ihrer historischen Bauten zu berauben. Leider vernachlässigen Denkmalpflege und Bauämter ihre Pflicht zu verhindern, dass historische Gebäude wie jüngst der „Farben Scheuble“ durch Luxuswohnbauten ersetzt werden. Auch der Korrektur von Bausünden der 1960er Jahre, wie der jetzt zur Sanierung anstehende Betonklotz der Schlossschule in unmittelbarer Nachbarschaft der Karlsburg, die als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung gilt, kommt die Denkmalpflege nicht nach.
Frank Eigl, Stadtbild Deutschland e.V. – Ortsverband Karlsruhe, Sprecher Hagsfeld:
Ich spreche mich für eine Unterschutzstellung des historischen Gesamtensembles der Schwetzinger Straße und der Jägerhausstraße aus, da diese den einzigen Rest des alten Hagsfeld darstellen und ein weitgehend intaktes Beispiel für ein regionaltypisches Straßendorf sind. Es steht zu befürchten, dass eine schleichende Zerstörung dieses Ensembles und eine Gentrifizierung stattfindet. Des weiteren für eine an die historische Gestalt angelehnte Umgestaltung des Lindenplatzes als zentraler Platz des Ortes und historisch das Entwicklungszentrum an der Kreuzung zweier wichtiger Straßen.
Ulrich Maximilian Schumann, Präsident der Friedrich-Weinbrenner-Gesellschaft e.V.:
Offenbar fühlt man sich im Rathaus der besonderen Geschichte Karlsruhes nicht mehr verpflichtet und hat kein Problem damit, selbst wichtige Zeugnisse kurzlebigen Moden zu opfern. Dass man so provinziell jetzt sogar mit dem Marktplatz umgegangen ist und das historische Bild endgültig zerstört hat, das Karlsruhes direkteste Brücke in die eigene Geschichte und sein Aushängeschild in der Welt gewesen war, hat Viele schockiert.