Friedrich-Weinbrenner-
Gesellschaft e.V.

"Marktplatz Karlsruhe: Farb- und Materialkonzept" – gut so, oder besser nicht?

21. Februar 2022

Dass in der Karlsruhe Stadtverwaltung keine Vorstellung formuliert worden war, wie man den längst durch Zerstörungen und kontinuierlich stattfindende Eingriffe sowie Mobiliar, Apparaturen u.ä. auseinandergerissenen, aber immer noch als Aushängeschild gesehenen Marktplatz wenigstens durch eine angemessene Farbgebung wieder als das geschlossene Ensemble kennzeichnen, rehabilitieren und stärken könnte, haben wir schon vor Jahren kritisiert, als die Farbfindung für das Rathaus zwischen verschiedenen Amtsfluren auf einen niemanden zufriedenstellenden Kompromiss zusteuerte. Zur Erinnerung: Baubürgermeisteramt und Denkmalpflege hatten sich schon festgelegt, dass es wieder rot werden müsse; entsprechend versperrt waren die Spielräume, um entscheidende Faktoren wie Tönung, Transparenz, Materialität, Einheitlichkeit etc. einzubeziehen und damit zu einem eventuell anderen Ergebnis zu kommen.

Gut also, dass das Stadtplanungsamt der Stadt Karlsruhe jetzt ein 30 Seiten langes «Farb- und Materialkonzept» für den Marktplatz vorgelegt hat. Es soll als Grundlage und Entscheidungshilfe für weitere, kleinere wie größere Eingriffe dienen. Und dass uns die Beschreibungen von Weinbrenners Konzepten aus unseren eigenen Texten bekannt vorkommen, ohne dass Quellen angegeben werden, als hätte man das selbst erforscht, wäre dann auch in Ordnung, wenn es zu guten Resultaten beiträgt, und Ansätze dazu enthält das Konzept durchaus.

Aber es wird schnell deutlich, warum man bei der Zusammenstellung und weitergehenden Interpretation der verstreuten Informationen keine Fachleute gefragt hat. Denn das Ziel des Konzeptes ist offenbar nicht, eine für den Marktplatz angemessene Farbigkeit und Materialität aus den historischen Bauten abzuleiten und die gefährdete Position des Gesamtensembles damit gegen die verschiedensten Ansprüche und Privatmeinungen zu sichern. Denn die folgenden Planungen und Eingriffe werden als gleichwertig mit den ursprünglichen behandelt und gegebenenfalls verteidigt, auch wenn sie diesen entgegenlaufen, darunter eben auch die neuesten, vom Stadtplanungsamt letztlich selbst verantworteten, von verschiedenen Seiten aber kritisierten. Dass der neue Belag aus bislang hier unbekannten Formen, Materialien und Farben angeblich korrekt und stimmig erscheint (S. 8), ergibt sich daraus, dass hier nicht das historisch korrekte Aussehen der Weinbrenner-Fassaden zum Bezugspunkt genommen wird, sondern der aktuelle, von Zerstörungen, Beliebigkeiten und Missverständnissen geprägte Status Quo. Aber sollte dieser nicht eben durch das Konzept hinterfragt und korrigiert werden?

Wo es um das Verhältnis zwischen den sandsteinroten Weinbrenner-Monumenten zu der umgebenden grauen Steinfläche geht, wird der Text verräterisch ehrlich: «Pyramide und Ludwigsbrunnen wirken darin als kontrastierende Applikationen.» Das eben sollten sie ja nicht sein, denn damit werden die historische Wertigkeit umgedreht und die räumliche Einheit gesprengt.

Wie diese Widersprüche mit Sätzen wie diesen zusammengehen soll, ist fraglich: «Es gilt deshalb, die hohe Gestaltqualitätdes Marktplatzes in seinem einheitlichen und ‘identifizierbaren’ Erscheinungsbild zu stärken.» Oder: «Das vorliegende Konzept soll einen Beitrag leisten, die Identität des Marktplatzes und seine Lesbarkeit zu stärken.» Oder:«Sein baukulturelles Erbegilt es zu stärken und zu erhalten.» (Fettdruck im Original)

Wen sollen diese Sätze mit den fett gedruckten Schlagworten darüber hinwegtäuschen, dass dieses Erbe durch den gerade abgeschlossenen Marktplatzumbau so tiefgreifend wie nie zuvor überformt worden ist und damit von allem massiv verloren hat: Gestaltqualität, Identität, Lesbarkeit? Noch deutlicher: Was soll hier denn noch bewahrt werden – und dann noch durch einzelne Maßnahmen wie das Überstreichen der gerade angeschafften Holzbänke oder den Austausch von badisch gelb-roten Sonnenschirmen gegen naturbeige?

Das hat mit der eingangs formulierten Herausforderung wenig zu tun. Anstatt weiter und tiefer die ‘DNA’ des Marktplatzes zu ergründen, wird der Bezugspunkt für die Farbwahl schließlich in der Populärpsychologie gesucht und mündet auf diesem Weg in Axiomen wie diesen:

«So stehen die vorgesehenen Farbakzente in dem gegebenen Verhältnis aus Grün und Rosa (Pflanzen und Stühle) beispielsweise für Jugend und Wachstum und vermitteln Eigenschaften wie ‘frisch’, ‘jung’ und ‘angenehm. Die Kombination Braun, Rosa und Grün (Elemente aus rotem Sandstein, Schmuckband, Pflanzen und Stühle) steht wiederum für Gemütlichkeit. So ist das angedachte Farbkonzept auch aus farbpsychologischer Sicht eine der „Wohlfühlstadt“ angemessene Wahl.»

Einmal ausgeblendet, dass das Empfinden immer auch von persönlichen Erfahrungen geleitet wird, kann Farbpsychologie einen Faktor darstellen.

Wenn aber das Potenzial, das in diesem ursprünglichen Meisterwerk des Städtebaus nicht ausreichend ausgeschöpft und fokussiert, vielmehr immer weiter beschnitten wird, erscheint sie schnell als letzter Strohhalm und Kosmetik, und umso stärker wirkt der damit verbundene  Eingriff in das Unterbewusstsein. Als bräuchte es einen – wenn auch nicht verschreibungspflichtigen – Stimmungsaufheller, damit man sich auf dem Marktplatz gut und als Teil der Stadtgesellschaft fühlt. Genau das hat Städtebau wie derjenige Weinbrenners traditionell mit einem breiten Katalog unterschiedlicher Mittel erreichte, wovon die Farbe nur ein, eher oberflächlicher Aspekt war.

Aber selbst das erscheint Mitgliedern des Gemeinderats noch als zuviel, die sich in den BNN zitieren lassen (siehe unten). Neben klarer Zustimmung zu dem Konzept finden sich Meinungen wie: «es sei nicht „in Stein gemeißelt“, sondern könne sich im Lauf der Zeit auch ändern» oder «es gebe eben auch unterschiedliche Geschmäcker». So herrsche fraktionenübergreifend «die Erleichterung darüber, dass das Farb- und Materialkonzept keine rechtlich bindende Wirkung hat». In anderen Worten: Ein Konzept ist gut, aber das Beste daran ist, dass man sich nicht daran halten muss.

Angesichts solcher parteiproportional eingeholten Reaktionen wird deutlich, dass die auffälligen Unschärfen und Untiefen in eben diesem Konzept wohl nicht nur dem Stadtplanungsamt anzulasten sind, sondern ein mit solchen, doch eigentlich anschaulichen und unmittelbaren Fragen überfordertes politisches Umfeld widerspiegeln.

Auch das weist auf Weinbrenners Zeiten zurück: Entweder war dies damals genauso oder noch schlimmer, dann ist seine Leistung umso mehr zu bewundern und zu bewahren. Oder es war besser, dann bedeutet dies vermutlich, dass eine solche Leistung heute gar nicht mehr gelingen und im Chaos enden würde.

Hier findet man das Konzept in den Anlagen zum Sitzungskalender.

Hier geht es zum Artikel "Stadträte begrüßen Farb. und Materialkonzept für Karlsruher Marktplatz" in den BNN.